
Stichiges Licht, Nachmittagsschwüle an der Nidda – eine schattige Wirtschaft und ein kühles Getränk wären jetzt gerade recht. Doch wie Rudyard Kipling schon sagt: Ein Garten entsteht nicht dadurch, dass man im Schatten sitzt.
In praller Sonne also auf Parzelle 16 erläutert Katharina Rohloff das Konzept dieses Kleingartens. Das macht sie so einnehmend und durchdrungen von den Ideen, die der Gartengestaltung zugrunde liegen, dass wir das Wetter Wetter sein lassen und ganz Ohr sind.
Der Garten ist die zweite Station unseres Rundgangs. Zuvor waren wir im mayhaus, dem schmalen Reihenhaus, in dem Besucher das historische Wohnambiente des Neuen Bauens mit allen Details originalgetreu rekonstruiert sehen können: die Frankfurter Küche der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, die blauen Fensterrahmen, der Linoleum-Boden, Möblierung und Einbauten des Architekten Franz Schuster, die die klaren Proportionen und Luftigkeit der Räume aufnehmen und verstärken, die Türklinken von Ferdinand Kramer sowie die hellen, zart gerasterten Bauhaus-Tapeten, deren Entwicklung Hans Leistikow begleitete, der für die graphischen Belange des Hochbauamtes verantwortlich war. Während wir durch die Räume gehen, schärfen sich unsere Blicke. Gestaltung und Farben gewinnen an Kraft in Beziehung auf ihre Funktionalität. Die Klarheit der einzelnen Elemente ergibt mehr als ihre Summe: Hier herrscht menschliches Maß, bescheiden wirkt die Reduktion auf das Notwendige und zugleich zeigt sich eine form- und selbstbewusste Haltung, die die grundlegenden Fragen einer sozialen Utopie stellt: Wie will ich leben? Wie will ich wohnen? Die Gestaltung entwirft den neuen Menschen in einer demokratischen Gesellschaft – in seinen Grundbedürfnissen, in seinem Alltag, in seinen Abläufen.
Auf jede unserer Fragen versorgt uns der ehrenamtliche Mitarbeiter des Hauses so mitreißend und kenntnisreich mit Informationen, dass seine Konzentration unsere Wahrnehmung beflügelt. Als ob das gestalterische Reformprojekt noch immer Funken in den Gehirnen schlägt.
Die heutige Sehnsucht nach customized Dingen, individualisierter Ware und Einzelanfertigung ist ohnehin trübe. Lässt man sie aber gedanklich auf die Objekte und Architektur der May-Siedlung treffen, werden diese Selbstprothesen nervöser Konsumenten mickriger denn je. Schmissig und ganz schön apodiktisch hielt Ferdinand Kramer seinen Kritikern entgegen:
Es ist ein reaktionäres Märchen, das Formproblem der Typisierung als reinen Schematismus und als Verarmung zu bezeichnen, wobei jede persönliche Note von vornherein ausgeschlossen wäre. (…) Jede Zeit, der wir einen Stil zusprechen, war im Grunde einfach. Sie baute aus den Elementen auf, die ihr zur Verfügung standen und war daher im Grunde in allen ihren Lebensäußerungen einheitlich. Sie wahrte das Gesicht, weil sie sich beschränkte. Sie experimentierte nicht in tausend Stilen und Lebensformen. Die Anarchie der freien Willkür ist dagegen ohne Zeitgepräge. Möbel und Geräte, die nur einer Person entsprechen, gibt es nicht! (F. Kramer, Individuelle oder typisierte Möbel? In: Das Neue Frankfurt, Heft 1/1928, Seite 10)

Der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May muss ein charismatischer Mann gewesen sein, ein Manager und Macher, Architekt und Stadtplaner, der Ämter wie Kompetenzen auf sich versammelte, um seine Ideen umzusetzen. Und er holte Mitte der zwanziger Jahre gute Leute nach Frankfurt, die mit ihm zusammen am Konzept des Neuen Frankfurt arbeiteten, und bildete Netzwerke mit der Kunstgewerbeschule und dem Grünflächenamt. Damals herrschte in Frankfurt krasse Wohnungsnot. May hatte als Student in England Gartenstädte kennengelernt und unternahm nun einen großen Schritt. Er begründete ein Bauprogramm, das Frankfurt ästhetisch und kulturell nach klaren Idealen formen sollte und schließlich internationale Ausstrahlung entwickelte. Sein Verständnis von Wohnungsbau umfasste alle Aspekte eines menschenwürdigen Umfelds. Statt Verdichtung oder Stadtrandbebauung ließ er von seinem Team aus über 50 Architekten, Designern und Gestaltern der Avantgarde – darunter auch Martin Elsässer, Walter Gropius und Mart Stam – Siedlungen im Grünen entwerfen. May verstand auch, dass er seine sozialen Utopien in die Öffentlichkeit tragen und Politiker überzeugen musste, und gründete 1926 die Zeitschrift »Das Neue Frankfurt«, layoutet von Willi Baumeister. Hier erklärten Architekten und Gestalter ihre Ideen und lieferten alltagstaugliche Anleitungen für das Wohnen in den Siedlungshäusern. Gartenbaudirektor Max Bromme und Leberecht Migge erarbeiten das Konzept für die Nutzgärten der neuen Siedlungen.
Der damalige Oberbürgermeister Ludwig Landmann ebnete den Weg für diese einmalige Konstellation: Er sorgte dafür, dass May sich seine MitstreiterInnen aussuchen durfte, denn Landmann hatte verstanden, dass Menschen, die in beengten, lichtlosen Wohnungen ohne Sanitäreinrichtungen leben, nicht für die junge Demokratie arbeiten können.
Eine kurze Sekunde stelle ich mir vor, wie heute der SPD-Dezernent für Planen und Wohnen, der CDU-Mann vom Dezernat für Bau, Immobilien und Reformprojekte, dazu die Grüne Dezernentin für Umwelt und Frauen, Grünflächenamt und Palmengarten sich gemeinsam eine gestalterische Aufgabe stellen. Ach, natürlich sitzt auch der Mann vom Amt für Bau und Immobilien am Tisch, dessen Amt – früher das Hochbauamt – seine Aufgaben mit übergreifenden Portfolio- und Flächenmanagement … notwendigen Optimierungsmaßnahmen … wirtschaftlich-administrativer Steuerung der betreuten Immobilien definiert.

Um die enormen Kosten für Bau und Ausstattung der Siedlungshäuser zu senken, setzte May auf serielle Herstellung. Standardisierung begriff er als Voraussetzung für soziale Veränderung. Dafür gründete er die städtische Abteilung T, zuständig für Normierung und Typisierung. Margarete Schütte-Lihotzky rationalisierte die Arbeitsschritte in der Küche und entwarf passgenaue Einbaumöbel. Sie entwickelte die Küche aus den Prinzipien und der Struktur einer Mitropa-Speisewagenküche zur reinen Arbeitsküche. Ihre Frankfurter Küche ist längst zum Signum des Neuen Wohnens geworden und noch heute sollten wir ihr bei jedem Umzug auf Knien danken, dass wir Küchengeräte und Einbauschränke nicht einpacken und mitschleppen müssen. Sie selbst schrieb Anleitungen für das Arbeiten in der neuen Küche, für Handbewegungen und Abläufe und führte in Seminaren vor, wie es gehen kann, das neue Leben, in dem Arbeit und Kochen nach ökonomischen Grundsätzen organisiert sind, damit Zeit bleibt für die wichtigen Dinge.

270 Quadratmeter haben die Pachtgärten, die ursprünglich für die Bewohner der Mehrfamilienhäuser in der Römersiedlung gedacht waren. Liegestuhl oder Riesentrampolin gibt es auf Parzelle 16 nicht. Auch keine naturnahen Beete im Bauerngartenstil oder romantische Kletterpflanzen. Dem Landschaftsarchitekten Leberecht Migge aus Worspwede saß noch die Hungererfahrung des I. Weltkriegs in den Knochen, als er für May den Bewirtschaftungsplan ausarbeitete. Er war ein Verfechter der Selbstversorgung und übertrug das Prinzip der Dreifelderwirtschaft streng auf den Kleingarten. Vier Personen sollte der Ertrag übers Jahr ernähren können. Auf Einverständnis und Konsens ihrer neuen Menschen haben die Reformplaner nicht unbedingt gesetzt. Ein Hauch von Verordnungswahn weht über der Petersilie. Bis ins Kleinste gehen die Anweisungen.
Katharina Rohloff bewirtschaftet ihn mit anderen Unterstützern seit einigen Jahren für die May-Gesellschaft nach den Originalplänen: schnurgerade Beete, akkurat gezogene Beerensträucher, steinerne Einfassungen, Gemüse, Gemüse, Gemüse und eine Pfingstrose, die allerdings auch eine wichtige Aufgabe hat: Bienen anlocken. Bei Samen Andreas forscht die ehrenamtliche Gärtnerin in alten Büchern nach historischen Sorten wie der Sieglinde-Kartoffel und der Mieze-Schindler-Erdbeere. In Überschwang der Konzepte, erzählt sie, gab es in zwanziger Jahren sogar eine Kartoffelsorte mit dem Namen Voran!
Konsequent sparsam und klein steht die Gartenhütte Typ 2 von Margarete Schütte-Lihotzky mitten im Garten. Eisern demokratisch, lustig grün.

Und unsere dritte und letzte Station an diesem Pfingstsonntag? Ein schattiger Platz im Ginnheimer Wirtshaus am Niddaufer. Ein kühles Getränk, eine freundliche Bedienung und gute Stimmung bei den Frankfurtern auf den langen Holzbänken.