Keine Raketenphysik. Zum Equal Pay Day

(c) Lisa Blum-MInkel
RED HANDBAG (c) Lisa Blum-Minkel, Hamburg

Er kommt in die Jahre, der Equal Pay Day.
1988 riefen die amerikanischen Business and Professional Women zum ersten Mal den Aktionstag aus und initiierten die Red Purse Campaign, um auf die Unterbezahlung von Frauen hinzuweisen.
Bei der siebenundzwanzigsten Party sind nun alle dabei: Familienministerinnen, SPD-Vorsitzende, Wirtschaftsredakteure – tout Paris lässt sich blicken und spricht Grußworte, denn das Geburtstagskind ist erwachsen und salonfähig geworden. Es schickt sich, bei dem Event gesehen zu werden.
Unterdessen bewegt sich die Lohndifferenz in Deutschland mit leichten Schwankungen seit Jahren zwischen 22 und 23 Prozent.

Dass der Equal Pay Day zu kurz greift und tiefer liegende Gründe der Ungleichheit vernachlässigt, hat zum Beispiel Antje Schrupp schon 2011 in zehn Thesen klar vorgetragen. Auch die statistische Aussagekraft wurde schon an vielen Stellen zurecht kritisiert. Seit einigen Jahren unterscheidet man deshalb zwischen unbereinigter und bereinigter Lohndifferenz.
Schmutzig sind die Faktoren wie: Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, unterschiedliche Branchen- und Berufswahl, niedrigere hierarchische Positionen und Unterbrechung der Arbeitsbiografie durch Kinder, die Jahre brauchen, um ihr Marmeladenbrot selbst zu schmieren.
Diese Anteile machen zwei Drittel des Lohnunterschiedes aus. Sieben Prozent bleiben, wenn man die Sache sauber betrachtet, heißt: im gleichen Job bei gleicher Qualifikation verdienen Frauen nur sieben Prozent weniger als Männer. Peanuts am Ende. Aber selbst diese Werte sind statistisch nur sehr schwer nachzuweisen.

Letztlich ist die Diskussion um die statistische Richtigkeit aber uninteressant. Die Rote Tasche ist gut, weil sie das Thema zumindest ein Mal im Jahr wiederbelebt und den Blick auf die strukturellen Ursachen frei macht.
Sehr schön zeigt uns das die FAZ vom 17. März 2015.
Im Wirtschaftsteil steht der Beitrag unter dem Titel: Sind höhere Löhne für Industriearbeiter ungerecht?, und er führt nicht nur Ursachen auf, sondern bietet selbstredend auch eine Lösung an.
Im männerlastigen verarbeitenden Gewerbe (wie zum Beispiel der Autoindustrie und im Maschinenbau) liegen die  Durchschnittsbruttolöhne über dem Drei- bis Fünffachen von denen in den frauendominierten sozialen und pflegerischen Berufen. In Deutschland hat das verarbeitende Gewerbe einen enorm hohen Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung. Kein Wunder also, dass wir im internationalen Ranking der Lohnunterschiede so schlecht dastehen.

(c) La Barbe Groupe d’Action féministe

Jemand wie Sigmar Gabriel fühlt sich sicher ganz groß und stimmlich auf der Höhe der alten Sozialdemokratie, wenn er fordert, dass es höhere Tarifabschlüsse für die sozialen, pflegerischen und erzieherischen Berufe geben müsse. Nur postet er diese Forderung volksnah auf Facebook statt eine Gesetzesvorlage zur Abstimmung in die Große Koalition zu geben. Im Koalitionsvertrag war leider auch kein Platz mehr für diese Angelegenheit.
Wir wollen uns alle gemeinsam mit der FAZ nicht vorstellen müssen, was eine solche Tariferhöhung für Erzieherinnen und Krankenschwestern für die Versicherungsbeiträge, für die Abgaben in der Industrie und die Steuern bedeuten würde. Deshalb die so einfache wie bestechende Lösung im Artikel frei Haus: mehr Frauen in die Industrie.

Genial. Ich bin seit Dienstag unentwegt beeindruckt. Zwei Fliegen, eine Klappe. Fordern nicht die Feministinnen seit Jahr und Tag: Mädchen rein in die MINT-Berufe? Wenn die Frauen so schlau sind, wie sie behaupten, dann müssten sie auch schlau genug sein, die besser bezahlte Arbeit zu wählen. Und hastdunichtgesehen, verschwindet der Gender Pay Gap. Der Vorschlag kommt bescheiden daher, dabei wohnt ihm ein solch emanzipatorisches Potenzial inne, dass die Zeilen schier in roter Farbe gedruckt sein müssten.

Alte Hände zu halten, Einzelkinder zu bändigen oder kranke Leute zu waschen, ist keine Raketenphysik. Raketenphysik ist Arbeit, die dazu führt, dass Raketen in den Himmel fliegen und den Horizont erweitern.
Bettlägerige Eltern zu pflegen, Kinder zu bekochen oder ein Sozialleben zu gestalten, ist keine Raktenphysik. Raketenphysik ist Arbeit, die technischen Fortschritt leistet und Weltmächte stärkt.
Ehrenamtlich Flüchtlinge zu betreuen, Frühstück für Kinder aus sozial schwachen Familien zu machen und der Nachbarin den Einkauf, ist keine Raketenphysik. Raketenphysik ist intelligente, komplizierte und schöpferische Arbeit.

Wenn die Frauen die schlecht bezahlten Frauenberufe nicht mehr ausüben, weil sie endlich in gut bezahlten, produktiven Arbeitsverhältnissen stehen, wenn die Frauen für die unbezahlte Sorgearbeit ausscheiden, weil sie Vollzeitstellen in Leitungsfunktionen innehaben, und wenn die Frauen Armut und Abhängigkeit hinter sich lassen und das Feld des unbezahlten Prekariats räumen, weil sie schlau genug sind, selbst für gesellschaftliche Anerkennung und eigenständige Existenzsicherung zu sorgen, dann kann die deutsche Wirtschaft sofort auf eine allzeit bereite Reservearmee williger Care-Arbeiter zurückgreifen: Irgendein chinesischer Wanderarbeiter, ein syrischer Flüchtling, ein hungernder Afrikaner, ein ausgebeuteter Bangladeshi, ein verzweifelter Mexikaner oder ein frierender Inuit im Container wird sich rasch finden. Kein Reibungsverlust. Keine Vorstellung von einem besseren Leben schiebt sich vor die Strahlkraft der produktiven Arbeit, in deren Schatten auch dem Raketenphysiker alles seltsam fahl scheinen könnte (weiß nicht, wie ich gerade auf das Bild komme).

Dann benennen wir die Frauenberufe in der Gastronomie in TexMex-Berufe um, nennen unbezahlte Care-Arbeit Eskimo-Job, und Minijobs heißen fürderhin Koreanos.
So eine eine sprachliche Umwidmung ist nämlich leicht zu bewerkstelligen im Vergleich zur Arbeit am Begriff. Der Marxsche Arbeitsbegriff ist in unserem Markt herrlich unangefochten gültig. Karl M. beschrieb, dass die zur menschlichen Reproduktion notwendige unbezahlte Arbeit außerhalb der Erwerbsarbeit stattfindet und nicht zur Lohnarbeit gehört. Sorgearbeit ist Nichtlohnarbeit und daher keine Arbeit. Sie ist «zweckfreie Tätigkeit».

Was für ein irrer, unnötiger Aufwand das wäre, an einem Tag im Jahr einen anderen Arbeitsbegriff zu entwickeln. Quasi zweckfreie Tätigkeit. Es ist so viel effizienter, die Sozialsysteme auf Erwerbsarbeit als Grundlage der Wohlfahrt ausgerichtet zu lassen und die Steuerpolitik so, dass sie gezielt unbezahlte Sorgearbeit fördert und verlangt. Schließlich will man ja auch die Zeit haben, auf der Geburtstagsparty des Equal Pay Day eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen zu nehmen.

Köstlich, die französische Apfeltarte. Meine Frau macht die auch sehr gut.

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