Für L. – as a token of friendship
Im Alltag rede ich manchmal über Tage hinweg wenig. Ich meine, richtig reden, mit Erwachsenen, über Themen, mit zuhören, nachfragen und anschauen. Ich sage zur Kassiererin Danke und zur Erzieherin Wieso hat das Kind schon wieder keine Mütze auf?, ansonsten arbeite ich tagsüber still, rede abends an die Brut hin und höre nachts Deutschlandfunk. Zudem ist die Lust am Gespräch in Norddeutschland ungefähr so verbreitet wie der Pockenvirus. Eine angemessene Antwort auf die Frage Wie geht’s? lautet entweder Und dir? oder Wie aufmerksam, dass du fragst. Ab und an aber gibt es wieder diese Tage, da heißt es mit Benn:

Kommt, reden wir zusammen
wer redet, ist nicht tot.
Sozialpsychologen behaupten gern, die Mitte der sechziger Jahre Geborenen seien eine unauffällige Generation. Zu spät für Aufbruch und sexuelle Befreiung, zu früh für die digitale Wende. Eine Generation ohne Kämpfe und Kontur, ohne Ideologie, Moral und Erfindungsgeist.
Kunst, Ehebruch, den jungen Liebhaber der Frau, den jungen Liebhaber des Mannes, die einfachen und die schwierigen Kinder, die Angst vorm Altern, Musik in Seattle, nervige Patchwork-Familien, sexuelle Erfahrungen und finanzielle Fragen, den Mangel an Sex, den Literaturmarkt, Scheidung, Sterben, Midlife-Krisen und Urlaubspläne, Versagensängste, Erfolg, Kleingärten, kranke Eltern, Mode in L.A., über Machtstrukturen, Varoufakis, den DJ (oh, oh), Männer in Elternzeit, Architektur, die Liebe, den Augenblick, Ausschweifung, Askese, über Geschwister, Bauchoperationen, die Frauenfrage, Paris und den Hundsrück, die Kindheit in Schwaben, Arbeit, Alimente, Marihuana-Anbau, Stiefkinder und Pendelbeziehungen, über besseres Scheitern und verpasste Möglichkeiten, Erinnerungen an Portugal, falsche Partnerwahl, guten Wodka und Tantiemen.