Die Kanzlerin sagt in der FAZ, der Frauenverachtung, die sich in Köln gezeigt habe, müsse man entschieden entgegentreten, „es sei gut, dass es sehr viele Anzeigen gebe, und die Polizei müsse all diesen Dingen nachgehen.“
All diesen Dingen soll die Polizei nachgehen. Der Bericht des NRW-Innenministerium zur Silvesternacht in Köln listet die Strafanzeigen aus den Aufnahmeprotokollen einzeln auf: „mehrfach begrabscht … in den Schritt gefasst …. Griff an Po und Scheide … in den Intimbereich oberhalb ihrer Kleidung gefasst …. Finger in Scheide eingeführt, misslang wegen Strumpfhose … Hintern und Schritt angefasst … an das Gesäß gefasst (unterhalb des Rockes und oberhalb der Strumpfhose) … zwischen die Beine gefasst und geküsst … mehrfach anstößig berührt … wurde von mehreren Personen angefasst … zwischen den Beinen gepackt“.
All diese Dinge werden im Wortlaut bestürzend konkret, widerwärtig, gewalttätig, albtraumhaft, frauenverachtend – nur kriminell werden sie nicht. Polizei und Staatsanwaltschaft haben nicht viel Arbeit damit, denn sexuelle Übergriffe werden nur dann strafrechtlich verfolgt, wenn sie die laut Strafgesetzbuch erforderliche „Erheblichkeit“ aufweisen. Bei Berührungen von Brust, Hintern und Genitalbereich kommt es für die gerichtliche Einschätzung darauf an, ob über oder unter der Kleidung begrabscht wird, deswegen auch die detaillierte Beschreibung im Protokoll.
Im Sommer, ohne Strumpfhose unterm Rock, kann aus einem Ding also mit etwas Glück ein Übergriff oder wenigstens eine Beleidigung werden. Immer noch kein Sexualdelikt, denn Deutschland hat die Istanbul-Konvention des Europarates gegen Gewalt gegen Frauen nicht ratifiziert. Ein Sexualdelikt liegt nach geltendem deutschen Recht nur dann vor, „wenn die sexuelle Handlung durch eine andere gewaltsame Handlung oder erhebliche Drohung des Täters ermöglicht wird“ (Quelle: Legal Gender Studies, 11.1.2016). Messer also, Schläge oder Fußtritte mögen hilfreich für eine strafrechtliche Bewertung sein. Gut ist auch eine „hilflose Lage“. Ruft die Frau aber um Hilfe, liegt keine hilflose Lage vor, sie hat sich ja zu helfen gewusst.
Kommentare zu Köln und der Debatte darüber kommen aus den interessantesten Richtungen:
Katharina Fegebank, zweite Bürgermeistern von Hamburg, rief den Tatverdächtigen von Köln auf Twitter zu: „Eure Mütter würden sich für Euch schämen!“
Ich bin mit den Tatverdächtigen nicht per Du und spekuliere weder über die Moralvorstellungen noch über die Schamgrenzen ihrer Mütter. Was vermutlich als gut gemeinte, hemdsärmelige Empörung gedacht war, enttarnt sich als traditioneller Reflex, die Gewalttat und deren Bewertung in die private Sphäre zu schieben – gewissermaßen selbst mütterlich an die Ehre der Buben sowie an Familienehre grundsätzlich zu appellieren.
Katja Suding, FDP-Vorsitzende in Hamburg, schreibt heute in einem öffentlichen Brief: „Natürlich gab und gibt es, Belästigungen, Gewalt gegen Frauen, Raub und Vergewaltigung in diesem Land wie auf der ganzen Welt schon immer. (…) Aber diese traurigen Selbstverständlichkeiten …“ (Hamburger Abendblatt, 13.1.2016)
Die traurige Selbstverständlichkeit dieser Dinge (super Titel) – über solche Allgemeinplätze wollen und müssen wir nicht sprechen, es gibt sie schließlich schon immer.
Das sieht auch Ursula Scheer so:
„Rassismus und sexuelle Gewalt haben in einer Demokratie, in der Gleichberechtigung herrscht, keinen Platz. Genau in dieser wohlfeilen Allgemeinplatzhaftigkeit aber liegt der Knackpunkt der #ausnahmslos-Kampagne. Sie nimmt die massenweisen Attacken, die (…) ganz überwiegend Migranten aus dem islamischen Kulturkreis auf Frauen verübt haben, zum Anlass, diskursiv quasi in Sekundenschnelle vom Konkreten auf das Allgemeine umzuschwenken: sexualisierte Gewalt in Deutschland insgesamt.“ (Ursula Scheer, FAZ, 13.1.2016)
Konkret scheint sexualisierte Gewalt im politischen und medialen Diskurs erst zu werden, wenn überwiegend aus dem islamischen Kulturkreis stammende Migranten sie ausüben.
Alltagssexismus ist aber an jeden einzelnen Tag in jedem einzelnen Frauenleben konkret. Die Attacken in der Silvesternacht stellen ohne Frage eine neue Qualität der Gewaltausübung dar. Es gibt nichts zu verharmlosen. Doch dieselben Leute, die auf das Bild von schmutzigen Händen auf ihren weißen Frauen mit der Forderung nach verschärften Asylgesetzen reagieren, leben einvernehmlich in dieser Zivilgesellschaft, wählen Parteien, die eine Novellierung des Sexualstrafrechts verschleppen, bewegen sich ungestört von verdinglichten Frauenkörpern in der Werbung, unbehelligt von schwitzigen, übergriffigen Händen in der Ubahn, tun sexuelle Übergriffe auf Volksfesten als Jungsübermut ab, laufen nachts ohne Angst über jede Straße, lachen lauthals mit denen, die Frauen grob in aller Öffentlichkeit anbaggern, starren im Büro auf Busen, greifen der jungen Bedienung im Restaurant an den Hintern, fliegen nach Thailand, diskriminieren Homosexuelle und verachten ihre Chefin.
Hilal Sezgin schreibt heute in der ZEIT über den Komplex männlicher Herrschaft und Alltagssexismus. Sie fragt: Welches Frauenbild vermitteln wir neu angekommenen Flüchtlingen mit Plakaten, auf denen nackt sich räkelnde Frauen für Smartphones werben? Nun, offensichtlich das zutreffende aus der Sicht von Smartphone-Nutzern.