Kulturelle Vielfalt: Frauen aus aller Welt bei mir zuhause

News from a goofed life: Private Nachrichten aus einem vermasselten Leben

Ich habe häufig Gäste aus allen Teilen der Welt: Junge Frauen, die sich für einige Wochen in Deutschland weiterbilden. Diese durchweg überdurchschnittlich gut ausgebildeten jungen Frauen Mitte zwanzig kommen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen und Kontinenten. Was sie dabei aber eint, ist eine großstädtische Herkunft und ein wohlhabender familiärer Hintergrund. Wenig verwunderlich. Geld und ein bildungsnaher Haushalt sind überall die Voraussetzung, um Töchter auf die Universität zu schicken und ihnen internationale Erfahrungen zu ermöglichen. Großartige Sache und allemal Grund, sich auf die Geschichten, Erfahrungen, Eigenheiten und Erwartungen dieser Frauen zu freuen.
Und dann passiert jedes Mal Folgendes: Alle, ich schwöre, wirklich alle, packen als Erstes ihren Apple-Store aus: iDies, iDas, WLAN und los. Facebook mit Freundin und Mutti, Skypen mit Mutti und Freundin. Ab dann jeden Tag. Mehrmals.
Was an Kosmetikutensilien ausgepackt wird, übersteigt jedes Maß. Ob aus Tokio, Nairobi, Buenos Aires, London oder Odessa – keine dieser Frauen geht ungeschminkt auch nur zum Frühstück. Und egal, ob blond oder lockig: Zweimal am Tag müssen die Haare gewaschen werden. Und allen, ich schwöre, allen, ist es unerklärlich, wie man ohne Straightener leben kann (eine Art elektrischer Haarplätter).
Das allein wäre nur lustig.
Es sind Medizinerinnen darunter, Juristinnen, Geisteswissen-
schaftlerinnen, Lehrerinnen und Wirtschaftswissenschaftlerinnen, alle mehrsprachig, clever und sympathisch. Sie ernähren sich von low fat convenience food bekannter Marken, finden ganz schnell H&M, aber kein Thema, das sie interessiert.Ich verstehe, dass ich alt geworden bin und an Projektionen leide. Trotzdem empfinde ich eine Art von Enttäuschung. Eine Kümmernis über das vergeudete Potenzial. Diese Frauen verfügen über Bildung und eine Kommunikationsausstattung, mit der man eine Firma betreiben könnte, und sind zu neunzig Prozent ausschließlich User auf Facebook und Youtube. Sie benutzen ihr Smartphone, um den Supermarkt ohne Umwege zu finden, aber keine geht spazieren, geht nachts in eine Bar, allein ins Kino oder zu einer Veranstaltung.
Ich weiß selbstverständlich, dass ich nur einen winzigen Ausschnitt einer vielfältigen Generation sehe und der empirische Befund schlicht Zufall sein könnte. Wenn aber ein Begriff wie Globalisierung sich ganz konkret in eklatanter Uniformität am Küchentisch ausdrückt, wo ich Unterschiedlichkeit erwartete, fällt es schwer, das Phänomen zu ignorieren.
(Okay, ich könnte auch meine Erwartungen abstellen. Aber erstens will ich das nicht und zweitens habe ich für meine Kinder die Begegnung mit starken Role models und kulturelle Vielfalt als Selbstverständlichkeit erhofft, stattdessen begegnen mir jetzt Items wie iPhone 5 und Straightener – Streitena – auf dem Wunschzettel.)
Modische Vorlieben, ähnlicher Musikgeschmack und vergleichbare Nutzung der Social Media sind wenig überraschend und der Effekt globaler Markenstrategie. Keine entzieht sich aber auch nur in Ansätzen.

Tatsächlich irritierend finde ich zum Beispiel die starken Mutterbindungen, die die Frauen pflegen. Sie leben dezidiert als Töchter unter dem Schutz der Herkunftsfamilien, obwohl sie längst erwachsene Menschen sind. Sie leben augenfällig asexuell (bei sehr femininen Kleidungsstilen), keine macht sich auf die Suche nach einem kleinen Abenteuer, keine erzählt von einem tollen Mann oder einer tollen Frau in ihrem Leben. Wie sie mit Mama Schuhe und Unterwäsche kaufen waren neulich und dass sie irgendwann einen netten Mann heiraten wollen, das erzählen sie.

Man muss nicht den Namen der deutschen Kanzlerin kennen, aber vielleicht doch die Regierungschefs des eigenen Landes. EU-Krise, Gegenwartsliteratur, Umweltschutz, internationale Beziehungen, Gaza, Theater, Presse, Film – nichts. Sie haben keine Themen im Gepäck und keinen Standort. Auf der Uni Credits gesammelt, das Thema der Abschlussarbeit hat der Professor vorgeschlagen. Gute Noten.

Ich halte weiter Ausschau und verwickle sie in Gespräche, werde älter, weiß um meine Rückständigkeit und deute das Mitleid dieser jungen Frauen, die angesichts meines Lebens auf einmal ganz genau wissen, was sie sicher nicht wollen, als internationale Solidarität.

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