
Vier Hamburger Kinder spielen in der Küche Wahlkampf.
Kind 1 steigt auf den Stuhl, wirft sich in die Brust, hebelt mit den Armen wie einst Charles de Gaulle und tönt: „Ich bin OLAF SCHOLZ! Ich bin euer Bürgermeister und heiße Olaf Scholz. Wählt Olaf Scholz zum Bürgermeister!“
Kind 2 steigt auf den Stuhl. Hände zur Raute: „Ihr kennt ja Angela Merkel. Wir sind die gleiche Partei nur in Hamburg – ja, nun, das wars.“
Kind 3 greift sich eine Tulpe aus der Vase, klettert auf den Stuhl und flötet: „Die armen Eisbären brechen im Eis ein. Die Grünen sind für Klimaschutz und haben süße Hunde lieb.“
Kind 4 macht dann dort oben ein sehr ernstes Gesicht: „Die Flüchtlinge brauchen Wohnungen. Es soll alles viel gerechter werden. Wählt die Hinken.“
Sehen wir einmal davon ab, dass die kindliche Perspektive das Bild leicht verzerrt, so bringen doch die Performances auf der wackeligen Speakers’s corner die Wahlbotschaften ganz gut auf den Punkt: der präsidiale Ton der Sozialdemokraten neben der Unkenntlichkeit der Christdemokraten, die weichgespülte Rückbesinnung auf grüne Umweltthemen neben dem sozialen Schlagwortgewitter der Linken.

Ob dieser Wahlkampf nun ungewöhnlich ideenlos war, will ich gar nicht kommentieren. Die Plakatflut erreicht jedenfalls mühelos elfjährige Mittelschichtkinder. Die Parteien umwerben ihre Zielgruppe nach den Mechanismen der kommerziellen Werbung. Sie kommunizieren die Marke an Konsumenten, die routiniert Bildsprache und Slogans zitieren können wie Jingles für Handys oder Süßigkeiten.
Nun ist die augenfälligste Besonderheit dieser Hamburger Wahl die unterschiedliche Beteiligung in den Bezirken. Insgesamt lag sie mit 56,9 Prozent niedriger als bei der letzten Bürgerschaftswahl. Im sozial schwachen Stadtteil Billbrook aber gingen nur 26,3 Prozent zur Wahl, im armen Neuallermöhe 39 Prozent. In den wohlhabenden westlichen Vierteln Nienstedten, Othmarschen und Groß Flottbek machten 75 Prozent (!) der Bürger_Innen von ihrem Wahlrecht Gebrauch.
Je ärmer desto niedriger die Wahlbeteiligung und desto besser die Ergebnisse für die Linken, je reicher desto höher die Wahlbeteiligung und desto überdurchschnittlich hoch die Ergebnisse für die FDP. Umfassende Zahlen und den Link zum Statistikamt liefert dazu das Abendblatt.
Der Zusammenhang zwischen Einkommenshöhe und Wahrnehmung des Wahlrechts ist nun nicht neu. Die Presse stellt ein weiteres Mal fest, dass das Gefälle zwischen Arm und Reich in Hamburg sich vergrößert.
Ich habe gesucht und geklickt, aber nirgendwo auch nur einen Kommentar der Hamburger Parteien zu diesem Thema gefunden. Kann es sein, dass die Markenkommunikation bei den sozial schwachen Migrationshintergrund-Marktteilnehmern deshalb nicht ankommt, weil sie die kritischeren Konsumenten sind? Dass eine Marke, die keine plausible Dienstleistung, keinen Coolness-Faktor und keinen erkennbaren Mehrwert bietet, einfach durchfällt? Am Ende sind sie auch gar keine Marktteilnehmer mehr, weil ihre Kaufkraft so sehr schwächelt, dass an deren Stelle das schiere Ressentiment getreten ist.
Ich gebe hier gern einmal die unterkomplexe, pathetische Spielverderberin: Die Stadt ist zugepflastert mit Stellwänden, die eine herrliche Zukunft annoncieren, und währenddessen lehnt der Haushaltsausschuss in Hamburg-Nord das Geld für 20 kostenlose Mittagessen auf dem Abenteuerspielplatz ab. Die Liste ist so lang wie kleinteilig. Sie reicht von kaputten Schulklos auf der Veddel über gestrichene Mittel für Schulbegleitung bis zur Kürzung des Etats für die ehrenamtliche Arbeit.
Die Blankeneser Wählerin ist in der glücklichen Lage ihre wohlstandswahrenden Interessen politisch wahrzunehmen. Dass die CDU dabei Stimmen verloren hat, ist kein echtes Debakel. Ein politisches Debakel ist es, dass Armut über minimale Teilhabe entscheidet. Ein Großflächenplakat an der Ausfallstraße kostet deutlich mehr als das Mittagessen für 20 Kinder, von denen keines am Wochenende mit seinen Eltern im SUV Richtung Ostsee daran vorbeidonnert.
Vielleicht ist es nicht nur für die Hinken eine Überlegung wert, ihre Markenstrategie leicht zu korrigieren.