Eigentlich wollte ich schon gestern über die feministische Agitprop-Gruppe Femen schreiben. Die Aktivistinnen intervenieren international, medienwirksam und charakteristischerweise barbusig. Meine sparsamen Notizen sahen so aus und wurden auch während des Abends nicht besser:
Ukraine: höchste HIV-Infektionsrate Europas. 330.000 Menschen – 1,1,Prozent der Bevölkerung ist mit dem HI-Virus infiziert (Quelle: GIZ)
Odessa: 7,5% der Bevölkerung HIV-positiv
Land mit der europaweit höchsten Rate an HIV-Neuinfektionen
patriarchal, postkolonial, homophob
Oksana Sabuschko taz-Interview
Gesprächsnotizen mit Sabuschko Berlin 2011
Ich kam nicht ins Schreiben hinein, weil ich nicht herausfinden konnte, wo mein Problem liegt, bis ich dann das CI-Foto der Gruppe auf der Femen-Webseite sah.
Es vermittelt eine Idee vom Impetus: feminin, selbstbewusst, kämpferisch, lustvoll, spontan, jung, frei und nicht schwedisch, wie ich natürlich am Anfang wieder dachte, sondern ukrainisch. Die Kampagnen der Gruppe werden rund um Großereignisse entwickelt (Davos, EM, Strauss-Kahn, am internationalen Frauentag in Istanbul). Die Entblößungs-Aktionen vor laufenden Kameras richten sich gegen Sexismus und Ausbeutung.
Vielleicht geht es nur mir so, aber ich komme mit dieser Form des Aktionismus nicht gut zurecht. Ich verstehe den symbolischen Gehalt und hege Sympathie für die anarchistische Metaebene.
Ein Unbehagen aber bleibt. Die Frauen halten ihre Busen in die Kamera, der Überraschungseffekt ist auf ihrer Seite, ihnen ist die Neugierde der Medienleute sicher, das Event wird gecovert. In der Bild am Sonntag (20.5.2012) gibt es zum Beispiel ein Riesenfoto und viele kleine Abbildungen der barbusigen und Blumen bekränzten Schönen mit dem Titel Busen gegen Böse.
All das spricht nicht gegen die Aktionen. Schließt sich daran ein Bericht über den Sextourismus der Fußballfans an? Eine Reportage über die Lage der HIV-Infizierten in der Ukraine? Über eine homophobe Gesellschaft, die es Männern in Kleinstädten unmöglich macht, Kondome zu kaufen? Unter Umständen nicht, aber wo fotografiert wird, entsteht Öffentlichkeit, entsteht Wahrnehmung und Aufmerksamkeit für ein Thema.
Eine Freundin fragte: „Femen? Wenn ich noch solche Titten hätte, würde ich mitmachen. Aber nach drei Kindern geh ich besser zu einem Slut-Walk.“ Irgendwie trifft ihre Bemerkung mein Unbehagen an Femen. Die mediale Inszenierung der Femen-Frauen ist verdammt dicht dran an sexistischen Fotos von hübschen, nackten Frauen. Die Slut-Walks sind mir von ihrem politischen Selbstverständnis und ihrer körperlichen Aggressivität her sympathischer. Die Schlampen schmeißen die heißen Kartoffeln zurück. Sie entkleiden den Mythos und inszenieren laut das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.
Vielleicht erkenne ich nur nicht, dass die jungen Femen-Frauen sich mit ihrer Protestform ein ausgebeutetes, abgenutztes und verwichstes Frauenbild selbstbewusst aneignen und es spiegeln, damit spielen und für ihre Interessen nutzen. Aber ich finde, ich müsste das als Adressatin sehen können.
Nachtrag 18 Uhr:
Am Nachmittag hat Zeit online ein Interview mit Alexandra Schewtschenko, der Sprecherin von Femen, veröffentlicht. Sie spricht von der „Legalisierung der Frauenkörper“ in den Medien. Dieser Ansatz leuchtet mir schon gar nicht ein.
Schewtschenko: Wir haben bereits für ein paar kleinere Revolutionen in den Massenmedien gesorgt. Bevor wir unsere Aktionen starteten, konnte man nackte Frauenbrüste nur nach Mitternacht im Fernsehen oder in Sexmagazinen für Männer sehen. Doch inzwischen haben wir den Frauenkörper legalisiert. Sie können Brüste heute in der Ukraine in Zeitungen oder zur Primetime im TV sehen.
ZEIT ONLINE: Was steht am Ende Ihrer Revolution?
Schewtschenko: Das Matriarchat, das hoffe ich doch.
Hm, also bei mir funktioniert der Ansatz.
Es war sehr auffällig, dass da in durchgestylten Bildern und Körpern eben _nicht_ für ein kommerzielles Produkt oder so geworben wird. Mich hat das von Anfang an irritiert und so habe ich mich für deren Sache interessiert.
Es gibt bestimmt viele andere Möglichkeiten des provozierenden Protests, aber was soll da nicht einleuchten?
Regionalisiert betrachtet kann man deren Aktionen für die Ukraine außerdem mit BH-Verbrennungen bei uns vergleichen, oder nicht?
Eine Irritation entsteht, und zwar medienwirksam. Mein Unbehagen richtet sich gegen die Rezeption und Verwertung der Bilder. Die Hochglanzbilder entwickeln in der Rezeption und Verwertung eine eigene Dynamik (BILD zum Beispiel) und werden losgekoppelt vom Anliegen.
Mir leuchtet der Ansatz ein, ich glaube nur nicht, dass er trägt.